Bakteriopolis
Ein Zuhause für eine bunte Gemeinschaft von Mikroorganismen.
Dieses lebende Kunstwerk zeigt die bunten Mikroorganismen, die im Schlamm und Boden unter unseren Füssen leben. Wenn die Mikrobenpopulationen im Laufe von Wochen oder Monaten wachsen, verändern sich die Farben der Kultur. Warum also nur eine Variante anlegen? Mehrere Mikrobenkulturen ermöglichen interessante Vergleiche und Entdeckungen.

Werkzeuge und Materialien
- Ein durchsichtiger Behälter, z.B. ein Schraubglas, ein Glaszylinder oder eine Flasche. Hinweis: Wenn der Behälter keinen Deckel hat, braucht ihr ausserdem Frischhaltefolie.
- Trichter mit breiter Tülle, die in die Öffnung des Behälters passt.
- genug Schlamm (vom Boden eines Teichs oder eines anderen Feuchtgebiets) oder Erde, um den Behälter zu füllen.
- grosse Schüssel
- Wasser
- Papierschnipsel
- ein rohes Ei
- optional: Eisennägel

Vorbereitung
Setze den Trichter auf die Oberseite des durchsichtigen Behälters.
Gebe den Schlamm oder die Erde in die Schüssel.
Gebe etwas Wasser zu dem Schlamm oder der Erde und vermische es mit den Händen (oder einem Löffel), bis der Schlamm locker genug ist, um ihn durch den Trichter zu pressen.
Dabei nicht zu viel Wasser zugeben. Bei Bedarf kannst du immer noch nachgiessen, aber nachträglich entfernen lässt es sich schlecht.
Setze der Schlammkultur Nährstoffe zu. Zum Beispiel eine Hand voll Papierschnitzel, ein rohes Ei oder beides. Für ein schnelleres und buntes Ergebnis empfehlen wir, beides hinzuzufügen.
Presse den Schlamm mit den Händen durch den Trichter in den durchsichtigen Behälter. Das kann ganz schön spritzen. Lege deshalb den Arbeitsbereich mit Zeitungspapier aus.
Optional: Du kannst auch versuchen, eine Eisenquelle in die Kultur einzubringen, indem du ein oder zwei Nägel etwa in der Mitte des Schlamms in den Behälter fallen lässt.
Verschliesse den Behälter locker mit einem Deckel, aber so, dass noch ein wenig Luft eintreten kann. Wenn der Behälter keinen Deckel hat, decke die Öffnung lose mit Frischhaltefolie ab.
Optional: Um den Einfluss von Licht auf die Kultur zu untersuchen, kannst du ein kleines Stück Folie oder Karton ausschneiden und an der Aussenseite des Behälters festkleben.
Stelle den Behälter an ein sonniges Fenster (ggf. mit der Folien-/Kartonseite zum Fenster) und lass ihn etwa 24 Stunden lang ungestört stehen.
- Nach 24 Stunden sollte sich der Schlamm am Boden des Behälters abgesetzt haben und eine Wasserschicht darüber liegen. Wenn sich mehr als 1–2 cm Wasser über dem Schlamm befinden, giesse etwas Wasser ab, bis nur noch 1–2 cm Wasser vorhanden sind. Wenn weniger als 1–2 cm Wasser vorhanden sind, giesse etwas Leitungswasser oben in den Behälter.

Was tun und beobachten?
Beobachte den Schlamm regelmässig und achte auf Veränderungen im Laufe von Tagen, Wochen, Monaten oder sogar Jahren.
Welche Muster fallen dir im Laufe der Zeit auf?
Wann und wo tauchen verschiedene Farben auf oder verschwinden wieder?
Sieht die dem Fenster zugewandte Seite anders aus als die vom Fenster abgewandte Seite?
Wenn du einen Teil mit Folie oder Pappe abgedeckt hast, schau darunter: Sieht der bedeckte Teil anders aus als der unbedeckte?
Wie lässt sich beweisen, dass die Farben, die du siehst, lebendige Dinge sind?
Vielleicht willst du aufzeichnen und messen, wie die verschiedenen Farbflecken wachsen, schrumpfen und sich mit der Zeit verändern – ein auf Folie gedrucktes Raster und Buntstifte kann dir dabei helfen.
- Um das Wachstum der Kultur aufrechtzuerhalten, genügt es, etwas Wasser in den Behälter zu giessen, sobald du feststellst, dass sie ausgetrocknet ist.
Was passiert da?
Die bunten Flecken, die im Schlammbehälter wachsen, sind in Wirklichkeit Ansammlungen verschiedener Bakterienarten, die natürlicherweise im Boden leben. Jede unterschiedliche Farbe steht für eine Gruppe von Mikrobenarten. Lässt man die Bakterien ungestört wachsen, bilden sie Kolonien, die gross genug sind, um sie mit blossem Auge zu erkennen.
Eine andere Bezeichnung für den Schlammbehälter ist Winogradsky-Säule, benannt nach dem Wissenschaftler, der diese Art der Kultivierung und Untersuchung von Bodenmikroorganismen erfunden hat. Eine Winogradsky-Säule fängt die Prozesse ein, die in der Natur ständig im Boden und im Schlamm ablaufen – ein in sich geschlossenes, dynamisches Ökosystem, in dem Energie fliesst und Stoffe zwischen verschiedenen, metabolisch vielfältigen Organismen zirkulieren.
Die grünen Bakterien in der Kultur produzieren ihre Nahrung wie Pflanzen – sie gewinnen ihre Energie durch Photosynthese aus dem Sonnenlicht und ihre Stoffe (d. h. Kohlenstoff) in Form von Kohlendioxid aus der Luft. Wenn die Säule an einem sonnigen Fenster steht, werden wahrscheinlich viele dieser photosynthetisch aktiven Arten wachsen, und auf der Seite der Säule, die weniger Sonne abbekommt, werden wahrscheinlich weniger dieser Arten wachsen.
Andere Bakterien in der Säule ähneln eher Tieren und Pilzen – sie gewinnen Energie und Masse, indem sie Kohlenstoffverbindungen verstoffwechseln, die von anderen Organismen (wie Pflanzen, Tieren, Pilzen oder anderen Mikroben) produziert werden. Dies ist vergleichbar mit der Art und Weise, wie wir Energie und Masse gewinnen, indem wir die Moleküle in der Nahrung, die wir essen, verdauen und aufspalten. Durch die Zugabe von Papierschnitzeln, die hauptsächlich aus Zellulose, einer von Pflanzen produzierten Kohlenstoffverbindung, bestehen, habt ihr wahrscheinlich das Wachstum einiger dieser Arten gefördert, die normalerweise grau erscheinen.
Eine weitere Energiequelle, die nur von bestimmten Bakterienarten genutzt werden kann, ist das Ei oder die Nägel, die in der Säule stecken. Diese Organismen gewinnen ihre Energie durch Reaktionen mit Schwefel oder Eisen, Mineralien, die im Ei oder in den Nägeln enthalten sind. Eisenoxidierende Arten sind oft an der rötlich-braunen Farbe ihrer Kolonien zu erkennen – vielleicht ist euch auch schon aufgefallen, dass verrostetes Eisen eine ähnliche Farbe hat.
Jede dieser verschiedenen Stoffwechselreaktionen erzeugt unterschiedliche Abfallprodukte. Und jedes Nebenprodukt kann wiederum von einem anderen Organismus zum Überleben genutzt werden. Zum Beispiel produzieren photosynthetisch aktive Cyanobakterien Sauerstoff als Nebenprodukt der Photosynthese. Dieses Sauerstoffgas ist für aerobe Bakterien – und auch für Tiere wie uns – überlebenswichtig. Tatsächlich verdanken wir den Photosynthese betreibenden Cyanobakterien die Entstehung der relativ sauerstoffreichen Atmosphäre auf unserem Planeten vor mehreren Milliarden Jahren, ohne die wir Menschen uns niemals hätten entwickeln können.
Obwohl die Säule anfangs eine homogene Schlammmasse ist, entwickeln sich im Laufe der Zeit Gradienten und Mikroumgebungen mit unterschiedlichen Ressourcen wie Sauerstoff und Licht. Sauerstoff ist am oberen Ende der Säule reichlich vorhanden, während er am unteren Ende, wo sich in der Regel die anaeroben (nicht sauerstoffverbrauchenden oder -produzierenden) Arten befinden, knapp ist. Auf der Seite der Säule, die dem Fenster oder einer anderen Lichtquelle zugewandt ist, finden sich in der Regel mehr photosynthetisch aktive Arten als auf der Seite der Säule, die weniger Licht erhält und reicher an heterotrophen oder nicht lichtnutzenden Arten ist. Jede Art besetzt je nach Energie- und Stoffbedarf eine bestimmte Nische oder einen bestimmten Bereich der Säule. Die Abfallprodukte jeder Art schaffen neue Nischen, in denen sich andere Arten entwickeln können.
So bildet sich im Ökosystem der Säule ein ständiger Kreislauf von Stoffen und Energie und durch die kontinuierliche Zufuhr von Lichtenergie können diese Organismen ihre vielfältigen Stoffwechselprozesse nutzen, um über viele Jahre zu leben, sich zu verändern und zu wachsen.